Die Digitalisierung ist kein reines Technologiethema

13 August 2017 by Mathias Born

Category: Agile Transformation, Alle, Digitalisierung

Die Digitalisierung ist kein reines Technologiethema

Vor ein paar Tagen stieß ich durch meine Hochschule, der Hochschule für Ökonomie und Management (FOM), auf einen interessanten Vortrag des renommierten HR-Experten Thomas Sattelberger. So heißt es in dem Beitrag der FOM:

„Deutschland ist schlecht für die Digitalisierung gerüstet“, mahnte Sattelberger. Vor allem die mittelständischen Unternehmen seien Sorgenkinder, was Innovationen beträfe. Dabei sei das Voranbringen von Innovationen nicht in erster Linie ein Technologiethema, sondern vielmehr verbunden mit Führung und Arbeitskultur.

Quelle: https://www.fom.de/2017/juli/was-deutschland-bei-der-digitalisierung-noch-lernen-muss.html

Eine interessante These. Und Sattelberger benennt es noch konkreter:

„Um die digitale Arbeitswelt von morgen zu gestalten und einen menschen- und innovationsfreundlichen Rahmen zu erreichen“, so Sattelberger, „braucht es Räume, Zeit und Prozesse für innovatives Arbeiten sowie Hierarchiearmut, Kollaboration, Selbstverantwortung, Souveränität und eine lockere Dezentralität. Dafür müssen Unternehmen, wenn nötig, auch die Macht alter Routinen und Erfahrungen brechen.“

Quelle: https://www.fom.de/2017/juli/was-deutschland-bei-der-digitalisierung-noch-lernen-muss.html


Digitalisierung ist in erster Linie also eine Führungsaufgabe?

Thomas Sattelberger trifft es auf den Punkt. Ich möchte in diesem Beitrag auf die Verantwortung des Managements bei der digitalen Transformation eingehen.

Aus meiner Sicht beschreibt Herr Sattelberg, dass Innovation nur dort entstehen kann, wo es auch Raum und Zeit für Kreativität gibt. Um kreativ zu sein, benötigt es meiner Meinung nach die Freiheit, verschiedene Dinge auszuprobieren – und keine festen Vorgaben. Auf das Management bezogen heißt das, dass sie ihren MitarbeiterInnen das volle Vertrauen schenken müssen, dass diese das Richtige tun. Erfahrungsgemäß ist dies aber leider meistens nicht der Fall. Viele Manager lassen verlauten, dass sie ihren MitarbeiterInnen die Entscheidungsfreiheiten geben, allerdings erweist es sich im Nachgang meist nur als Floskel.

Aber wieso können Manager nicht vertrauen, dass ihre MitarbeiterInnen das Richtige tun und wenn sie es mal nicht tun, Fehler zu tolerieren?

Dazu möchte ich auf ein psychologisches Modell aufmerksam machen, welches von  Don Beck und Chris Cowan auf der Grundlage der Theorien von Clare W. Graves entwickelt worden ist. In den Zeiten der digitalen Transformation spielt dieses Modell meiner Meinung nach eine entscheidende Rolle.

Das Modell nennt sich spiral-dynamics, welches Parallelen zur der Bedürfnispyramide von Abraham Maslow enthält. Ohne detailliert auf diese Theorie einzugehen, ist es für diesen Beitrag wichtig zu wissen, dass es unterschiedliche Bewusstseinsentwicklungen des Menschen gibt. Der Mensch durchläuft nach dem Modell unterschiedliche Bewusstseinsformen, bei denen er immer wieder zwischen einer Ich- und Wir-orientierten Wahrnehmung schwankt. Eine gute Einführung dazu finden Sie in dem Beitrag: “A SPIRAL DYNAMICS INTRODUCTION” auf dem Blog T.R.O. THINK TANK von Sven Schulz.

Das Modell definiert acht verschiedene Bewusstseinsformen, die die kognitive und emotionale Entwicklung des Menschen beschreiben. Wichtig ist, dass eine Person nicht in Gänze in eine dieser Formen eingeordnet werden kann. Jede Form zeichnet sich jedoch durch unterschiedlich dominante Denkmuster aus. In dem Modell werden die unterschiedlichen Formen als Farben dargestellt. Betrachtet man dieses Modell bezogen auf die heutige Entwicklung im Rahmen der Digitalisierung und der für mich damit verbundenen agilen Transformation, sind zwei dieser Bewusstseinsformen besonders hervorzuheben.

Der Einfluss von spiral-dynamics auf die Digitalisierung

Bezogen auf die Arbeitswelt ist die Form Orange durch strategisches sowie ereignisorientierte Denkmuster und einem karrieremotivierten Handeln geprägt. Diese Form ist eine Ich-orientierte Wahrnehmung. Erfolge sind in dieser Bewusstseinsform unter anderem das Erreichen von eigenen Zielen. Konflikte kann es mit Menschen geben, die sehr eigenverantwortlich denken und gerne selbst Entscheidungen treffen.

Sattelberger behauptet in seinem Vortrag, dass die Werte Hierarchiearmut, Kollaboration, Selbstverantwortung und Souveränität im Rahmen der Digitalisierung eine entscheidende Rolle spielen. Bezogen auf das Modell von spiral-dynamics finden sich diese Eigenschaften in der Form Grün wieder. Sie ist geprägt durch ein multikulturelles, autonomes, nachhaltiges und ökologisches Denken. Bezogen auf Organisationseinheiten steht im Mittelpunkt dieser Form das WIR. Verantwortung wird von einem Team getragen, aber auch Erfolge können nur erreicht werden, wenn das Team erfolgreich ist.

Heutzutage trifft man noch vermehrt auf Führungskräfte, die in die Form Orange eingestuft werden können. Im Schritte der Digitalisierung müssten jedoch die Werte der Farbe Grün an Dominanz gewinnen, damit der Schritt zur Digitalisierung erfolgreich bewältigt werden kann.

“Die Evolution der Führung von Orange zu Grün ist eine Vorbedingung der Digitalisierung.”

– Mathias Born

Der Einfluss von Zielvereinbarungen auf die Digitalisierung

Welche Aspekte tragen aber dazu bei, dass ein Sprung von der orangen zur grünen Bewusstseinsform nicht erreicht wird?

Ich möchte in diesem Artikel bewusst auf einen Aspekt eingehen, der meiner Meinung nach einen großen Einfluss auf die Bewusstseinsentwicklung nimmt. Zielvereinbarungen können diesen Entwicklungsprozess deutlich beeinflussen und verhindern, weshalb ich in dem folgenden Abschnitt auf diese Probleme aufmerksam machen möchte.

Welche Ziele haben Sie in den letzten Jahren mit Ihrer Führungskraft vereinbart?
Waren Ihre Ziele im Sinne von Projekterfolgen und Ergebnissen formuliert oder fokussiert auf Ihre persönliche Weiterentwicklung? Welche Ziele, denken Sie, stehen in der Zielvereinbarung Ihrer Führungskräfte?

Ich vermute, dass die meisten operative Ziele haben. Die Ziele werden meist nach den Eigenschaften des englischen Akronyms SMART (specific = spezifisch, measurable = messbar, achievable = erreichbar, relevant = relevant, und timed = terminiert) definiert. Sie als Person oder auch Ihre Führungskraft werden an Zielen gemessen, wie z. B. “Erfolgreicher Abschluss des Projektes XY bis zum”, “Verbesserung der Qualität der Software bis Ende des Jahres”, “Einsparung von Summe X für die Bilanz im Jahre XY”.

Welchen Einfluss haben aber solche Ziele auf den Menschen und ein Team?
Am Ende des Jahres werden die Projekt- und Arbeitserfolge an Ihnen als einzelner Person gemessen. Ob das Team in diesem Zusammenhang erfolgreich war, wird dabei oft außer Acht gelassen. Ihr persönlicher Erfolg wird daran gemessen, ob Sie das Team geführt und kontrolliert haben.

Hier liegt ein entscheidendes Problem vor. Um ihre Ziele zu erreichen, müssen Führungskräfte ereignisorientiert denken und vorgehen. Schnelle Ergebnisse erreichen sie aber nicht, indem sie ihren MitarbeiterInnen freien Lauf und die Dinge ausprobieren lassen. Also versuchen Führungskräfte ihr Team zu führen und zu kontrollieren. Sie unterstützen das Team, indem sie Probleme beseitigen, möchten aber immer einen Status der aktuellen Situation und darüber hinaus Entscheidungen treffen, die eigentlich das Team entscheiden könnte. Führungskräfte müssen diese Vorgehensweise wählen, damit sie einen aktuellen Status erhalten, ob Ihr eigenes Ziele am Ende des Jahres nicht gefährdet wird. Mit dieser Vorgehensweise kann jedoch die grüne Bewusstseinsform von spiral-dynamics nicht erreicht werden.

Die neue Zielvereinbarung im Rahmen der Digitalisierung

Die heutigen Formen der Zielvereinbarung haben meiner Meinung nach einen erheblichen Einfluss auf den Prozess der Digitalisierung. In persönlichen Zielvereinbarungen dürften nur noch Ziele bezogen auf das Individuum, z. B. der persönlichen Weiterentwicklung liegen – und nicht gemessen an Projekt- oder Aufgabenerfolgen.
Es bedarf einer neuen Zielvereinbarung, die nicht für ein Individuum, sondern für eine Organisationseinheit vereinbart wird. Hier werden Projekt- oder Aufgabenerfolge definiert. Das Team bekommt somit die Verantwortung und das Vertrauen, dass die Ziele nur im Team und nicht durch eine einzelne Person erreicht werden.

Fazit

Der Prozess der Digitalisierung erfolgt nicht nur in dem Technologiebereich eines Unternehmens. Vielmehr muss als Vorbedingung die Arbeitskultur und Führung komplett neu überdacht werden. Es bedarf einer Neudefinition von Zielvereinbarungen und mehr Selbstverantwortung der MitarbeiterInnen. Um die Digitalisierung erfolgreich durchführen zu können, müssen neue Führungskonzepte, die auf das Individuum und die persönliche Weiterentwicklung abzielen, entwickelt werden.

Die Entwicklung von Menschen nach dem Modell von spirial-dynamics funktioniert nicht von heute auf morgen.

“Die Digitalisierung beeinflusst die komplette Kultur und Arbeitsweise eines Unternehmens und kann nicht von heute auf morgen durchgeführt werden. Technologie ist in diesem Zusammenhang nur ein kleiner Teilaspekt, der betrachtet werden muss. Digitalisierung muss top-down durchgeführt werden und hierbei ist es entscheidend, dass die eigenen Arbeitsweisen im Management in Frage gestellt werden.”

– Mathias Born

Ich möchte an dieser Stelle noch auf das Projekt Oxygen von Google aufmerksam machen. Im Rahmen des Projekts wurden auch neue Anforderungen an Manager definiert. Eine kurze Übersicht finden Sie dazu in dem Artikel: “Google hat untersucht, welche Eigenschaften erfolgreiche Mitarbeiter haben — das kam dabei heraus” von businessinsider.de.

Verweise:

FOM-Artikel: Thomas Sattelberger Vortrag
https://www.fom.de/2017/juli/was-deutschland-bei-der-digitalisierung-noch-lernen-muss.html

Googles-Projekt Oxygen
http://www.businessinsider.de/google-hat-eigenschaften-erfolgreicher-mitarbeiter-untersucht-2017-8

https://hbr.org/product/google-s-project-oxygen-do-managers-matter/313110-PDF-ENG

Blogartikel von Sven Schulz zu Spiral-Dynamics
https://trothinktank.com/2017/06/25/a-spiral-dynamics-introduction/

Weitere Beiträge von anderen Blogs:
https://www.prethink.eu/2017/08/11/agile_organisation_transparenz_dialog_vertrauen

 


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  • Sven

    2017-08-25 11:37:49

    Ich kann deinen Ausführung zu mehr individuellen Zielen der persönlichen Weiterentwicklung und nur gemeinschaftlich erreichbaren Zielen voll zustimmen!! Du schreibst mit diesem Post über zwei Themen, welche in Firmen heute nahezu überhaupt keine Relevanz besitzen. 1. Wir Menschen besitzen unterschiedlich dominante Denkmuster. Als Firma benötige ich nicht nur Angestellte mit bestimmten Hard- und Softskills, sondern die Menschen müssen auch die passenden "Denkmuster" für die geforderte Tätigkeit mitbringen. 2. Die Art der Ziele, welche eine Firma ihren Mitarbeitern setzt, kann einen schädlichen Einfluss auf den unternehmerischen Erfolg haben. Zwei Ergänzungen meinerseits. Zitat: "Konflikte kann es mit Menschen geben, die sehr eigenverantwortlich denken und gerne selbst Entscheidungen treffen." Anmerkung: Auch auf Orange trifft dies zu, jedoch kann Orange "nicht loslassen und nur in begrenztem Maße echtes Vertrauen geben". Echte Autonomie, welche ab einer bestimmten kooperativen Komplexität notwendig ist, wird so nicht ermöglicht. Zitat: „Die Evolution der Führung von Orange zu Grün ist eine Vorbedingung der Digitalisierung.“ Anmerkung: Auch die Mitarbeiter müssen diese Evolution durchlaufen. Verantwortung kann nur ausgesprochen werden, wenn der Mitarbeiter sie auch wahrnehmen kann. Solange sich auch nicht ein Großteil der Mitarbeiter kontinuierlich von Blau/Orange zu Grün wandelt, besteht nicht genug Identifikation mit den Unternehmenszielen, um diese Eigenverantwortung wahrnehmen zu können. Dies ist aber ein Wandel der durch die Führung (oder eine spezielle Organisationseinheit) gefördert werden muss. Jeder muss seine Arbeitsweise in Frage stellen, jedoch muss aus dem Management eine klare "Vision" transportiert werden und die Bereitschaft (und Zeit) für echte tiefgreifende Veränderung vorhanden sein. "Grüne" Mitarbeiter möchten eine greifbare Vision teilen und gemeinsam mit echter Verantwortung auf diese hinarbeiten. Heutige Ziele sind auf orangene Führung perfektionisiert. Iterativ erreichbare "Erfolge" von Einzelpersonen. Der Zwang zur Steuerung / Kontrolle durch Führungskräfte wird zudem dadurch befeuert, dass diese sich selbst wiederkehrend vor den eigenen Führungskräften rechtfertigen müssen. Wer gibt schon gerne Verantwortung aus der Hand, wenn man selbst wiederkehrend dazu Stellung beziehen muss. Da es in diesem Artikel vorwiegend um die veränderten Anforderungen an die Führung geht, möchte ich hier auf das Buch "Management 3.0" verweisen, was meiner Meinung nach die richtigen Impulse setzt.


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